Auch unter Menschen wird ein Zusammenhang zwischen Körpergröße und aggressivem Auftreten diskutiert. Der sogenannte Napoleon-Komplex, der vom Psychologen Alfred Adler beschrieben wurde, umfasst eine Reihe vermeintlich typischer Verhaltensweisen kleiner Männer, die als besonders aggressiv, machthungrig, überehrgeizig, dominant und eifersüchtig gelten. Seltsamerweise bezieht sich das Syndrom aber nicht auf kleine Frauen.
Einen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass kleine Männer aggressiver als große Männer auftreten, gibt es bislang jedoch nicht. Davon abgesehen war Napoleon für seine Zeit eher überdurchschnittlich groß. Aber tendieren kleine Hunde eventuell zu einer Art Napoleon-Komplex oder ist das ein Vorurteil? Und wenn die Kleinen angriffslustiger und "cholerischer" sind als große Hunde, ist es rassebedingt oder erziehungsbedingt?
Kleine Hunde: Aggressiver oder schlechter erzogen?
Kleine Hunde haben oft mit wenig schmeichelhaften Vorurteilen zu kämpfen. Von "Wadenbeißern" über "Trethupen" bis hin zu "Wollwürsten", "Teppichratten", "Hackenschnüfflern" und "Stolperfallen" sind den Gemeinheiten keine Grenzen gesetzt. Die Kleinen wären keine richtigen Hunde, schimpfen Menschen, die nur große Hunde mögen, häufig. Außerdem wird den Miniwuffs vorgeworfen, dass sie Kläffer seien, überdies stur, bissig, leicht reizbar und streitsüchtig. Große Hunde hingegen werden gern als "sanfte Riesen" bezeichnet, gelten oft als gutmütig, ruhig und geduldig. Aber liegt es an den Hunderassen selbst, dass kleine Hunde für aggressiver gehalten werden?
Terrier und Dackel zum Beispiel gelten als selbstbewusst, mutig und intelligent. Sie wurden ursprünglich dafür gezüchtet, Füchse und Dachse aus ihren Bauten aufzuscheuchen. Terrier wurden darüber hinaus auf Feldern zur Rattenjagd eingesetzt, um die Schädlinge zu vertreiben. Bei diesen Aufgaben waren die Hunde auf sich gestellt – schließlich waren nur sie klein, wendig, schnell und aufmerksam genug, um in die Bauten zu passen und den Wildtieren die Stirn zu bieten beziehungsweise die Ratten zu verjagen. Daher war es für sie sehr wichtig, eigene Entscheidungen zu treffen und sich eine gewisse Unabhängigkeit von ihren Haltern zu bewahren. Dieser rassebedingte "Eigensinn" kann als Sturheit missverstanden werden.
Allerdings besteht trotzdem noch ein Unterschied zwischen aggressiver und eigensinniger Verhaltensweise – und hier kommt dann die Erziehung ins Spiel. Aggression entsteht bei Hunden meist nur, wenn sie sich, ihr Rudel oder ihre Ressourcen bedroht sehen, also aus Unsicherheit und Angst heraus. Und die wiederum sind Folgen inkonsequenter oder fehlender Erziehung beziehungsweise nicht artgerechter Haltung und Beschäftigung. Andere unerwünschte Verhaltensauffälligkeiten wie übermäßiges Bellen ("Kläffen"), Anspringen, Betteln, Eifersucht oder das ständige Buhlen um Aufmerksamkeit sind in jedem Fall auf Erziehungsfehler zurückzuführen und keine Frage der Hunderasse.
"Fluch der Niedlichkeit" bei kleinen Hunderassen
Ein weiterer Grund dafür, weshalb kleine Hunde sich scheinbar aggressiver aufführen als große Hunde, liegt darin, dass sie leicht unterschätzt werden. Durch ihre geringe Körpergröße wirken sie süß und knuddelig, sie erfüllen das Kindchenschema und wecken damit den Beschützerinstinkt im Menschen. Vor allem Hunderassen, die als Gesellschaftshunde – abfällig auch als "Schoßhunde" bezeichnet – gezüchtet wurden wie der Mops, Chihuahua, Malteser, Shih Tzu oder Havaneser laufen Gefahr, von ihren Haltern verniedlicht und verhätschelt zu werden.
Doch Lebewesen – sowohl Mensch als auch Hund – die zu sehr verwöhnt werden, lernen oft keine Frustrationstoleranz und keine Impulskontrolle, keine Geduld und keine Manieren. Sie lernen nicht, dass sie sich auch mal zusammenreißen, Mühe geben und sich anstrengen müssen, um ihre Ziele zu erreichen und glauben, sie dürften sich alles erlauben, weil niemand ihnen jemals Grenzen aufgezeigt hat. Große Hunde, die schlecht erzogen sind, können Menschen ernsthaft verletzen, während ungezogene kleine Hunde höchstens ein wenig in die Wade zwicken, wenn sie zuschnappen. Dieser "Fluch der Niedlichkeit" verwehrt den Kleinen oft eine artgerechte Erziehung, was jedoch nicht ihre Schuld und auch nicht rassebedingt, sondern einem Missverständnis zwischen Mensch und Tier zuzuschreiben ist.
Kleine Hunde haben die gleichen Bedürfnisse wie große Hunde
Dabei haben kleine Hunde genau die gleichen Ansprüche und Bedürfnisse an eine artgerechte Haltung und Erziehung wie große Hunde. Sie brauchen ebenfalls Beschäftigung für Körper und Geist, wollen zum Hundesport, in die Hundeschule, mit Artgenossen spielen und an der Leine laufen. Sie wollen Tricks lernen und Aufgaben zugeteilt bekommen, nicht in Handtaschen spazierengetragen und wie Plüschtiere behandelt werden.
Wann kleine Hunde Ihren Schutz wirklich brauchen
Es gibt jedoch Ausnahmen, in denen kleine Hunde tatsächlich mehr Unterstützung und Hilfe brauchen als große Hunde. Denn in der Tat wirkt die Welt auf sie bedrohlicher, da sie alles aus der "Froschperspektive" heraus wahrnehmen. In Menschenmengen kann es zum Beispiel sinnvoll sein, den Miniwuff auf den Arm zu nehmen, anstatt ihn am Boden zu lassen, damit er sich nicht so eingeengt fühlt oder versehentlich getreten wird.
Lassen Sie Ihren kleinen Hund außerdem nur unter Aufsicht mit großen Artgenossen spielen. Dann können Sie sofort eingreifen, wenn der Große seine Kraft unterschätzt und den Kleinen zu sehr bedrängt, ihn sogar versehentlich in Gefahr bringt. Manche großen Hunde mit ausgeprägtem Jagdtrieb könnten in den kleinen Fellknäueln obendrein Beute sehen – auch hier dürfen Sie nicht zögern und müssen Ihren Liebling in Sicherheit bringen.
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